Beschreibung
Endzeitstimmung in Gedichtform
von Alexandra Linder
Fische, Vögel und weiteres Getier bekommen ihr Namensfett weg, von Hammerhai bis Kormoran. Wadenkrampf macht Maden Dampf, Oberärzte haben Gummibäume. Ein „Liebesgedicht“ wird mit dem Foto eines jüdischen Friedhofs untermalt. Wer Irrsinn, Verstörung und Sarkasmus mag, wird diesen Gedichtband lieben. Manchmal bleibt das Lachen im Hals stecken, oft kommt es gar nicht erst bis dahin. Zartbesaitete Gemüter werden sich erschrecken: Vor der treffenden Beschreibung jugendlicher Medienabhängigkeit („Elektrokind“), vor der negativen Grundbeschreibung des Menschen, der triebhaft, brutal, pervers oder ahnungslos auf die selbstverursachte Apokalypse zusteuert. Der die amerikanische Verfassung umsetzt, indem er den darin garantierten pursuit of happiness in Süchten und Zappen auslebt. Zwischen all der Endzeitstimmung tröstet Sonneborn uns mit humorvollen Stücken wie „Tribal troubles“.
Wer Literatur kennt und liebt, wird Anklänge zum Beispiel an Goethe, Gottfried Benn oder den in Poesie umgesetzten Grauen-Edgar (Allan Poe) vermuten. Vieles ist sehr originell, wie das jeweils im Dreierblock durchgezogene Alphabet mit skurrilen Zusammenhängen oder Waschbären als Beinahe-Kapitalisten, Weinwarane und Lachwallache. Überhaupt: Sprachlich bietet das Werk Genussvolles, in einem recht freien Reimschema; man suche nicht nach Jambus- oder Trochäus-Konsequenz, auf Interpunktion wurde weitgehend verzichtet.
Der intellektuelle Anspruch des Autors an die Leser ist für ein Dekadenz-Menschenbild erstaunlich hoch, vielleicht hat er doch noch Hoffnung. Andere müssen halt nachschlagen, was „Tertium cerevisiae“, Gamelan oder Stanzen bedeutet, welcher Politiker geohrfeigt wurde, welches die sieben Todsünden sind oder wie Bach auf Französisch heißt. Erholen kann man sich bei im Geleitwort angekündigten sinnfreien Stücken wie „Some more animals“.
Nach der Lektüre hat man zwei Möglichkeiten: sich die Kugel geben oder sofortige Gegenmaßnahmen zur Weltrettung ergreifen. Empfehlenswert für alle, die mal etwas wirklich ganz anderes lesen möchten. Definitiv keine leichte Kost. A propos Kost: Das vom Autoren versprochene Stück Kuchen für die masochistische Komplettlektüre habe ich mir redlich verdient!