Ha.M.Let 2.0 – Markus J. Beyer

„Ha.M.Let 2.0. Shakespeare im Schaufenster” handelt von einer ganz besonderen Inszenierung der Hamlet-Tragödie – voller Hindernisse und Überraschungen!

Ein verstaubtes Schaufenster. Ein blutiges Messer. Merkwürdige Verse. Und ein verrückter Typ, der drei Jugendliche zu Tode erschreckt. Der empfindsame Oz, Cris, der Bastler, und Lilith mit der großen Klappe staunen nicht schlecht, als genau dieser Schaufenster-Zombie am nächsten Tag in ihrer Schule auftaucht. Und nicht nur das – er ist auch noch der Leiter der neu gegründeten Theater-AG. Der verrückte Alte entpuppt sich als ehemals erfolgreicher Shakespeare-Schauspieler. Nach anfangs holprigen Schritten aufeinander zu führt er Oz und seine Freunde in eine völlig neue Welt: voller Worte, voller Gefühle, voller Dramatik. Schließlich überraschen die Jugendlichen den alten Mann mit einem eigenen Theaterstück: Ha.M.Let 2.0. Doch ihr Plan steht auf wackligen Füßen, denn wie jedes Drama hat auch dieses mehrere Akte – und Hiltrud Unterberg mischt darin gewaltig mit. Die stellvertretende Schulleiterin hasst eigenwillige Schüler – und das Theater. Das Spiel mit Intrigen beherrscht sie dagegen meisterlich.

  • Preis: 14,90 Euro

  • Erscheinungsdatum: November 2020

  • Format: 384 S. / 21 x 13,5 cm / Hardcover

  • ISBN 978-3-948496-15-9

Leseprobe

PROLOG

 

Das Schaufenster leuchtete in einem unruhigen frühherbstlichen Dämmerlicht.
Es war der letzte Tag der Sommerferien, ziemlich spät diesesJahr, und der Sommer hatte endgültig die Segel gestrichen.
Es war purer Zufall, dass Ozan und Lilith heute Abend diese Gasse genommen hatten. Und wäre die Elster nicht gewesen, die mit heftigen Schnabelhieben den schmalen Lüftungsschlitz bearbeitete, um an ein schmackhaft gefülltes Schneckenhaus zu gelangen, hätte Oz wohl nie einen Blick in das Fenster geworfen.
Es war eines von diesen riesigen bogenförmigen Fenstern, die zwischen schwarzweißem Fachwerk hingen, wo früher einmal ein Scheunentor gewesen war. Von denen gab es viele in der Stadt.
Dieses hier war aber irgendwie anders.
Vielleicht lag das an der tristen Deko, die aus verwelkten Weihnachtssternen, verstaubten Plastiktannen und kitschigen Holzfiguren bestand. Oben im halbkreisförmigen Glasausschnitt funzelte eine altersschwache Lichterkette. Jemand hatte nach dem letzten Weihnachtsfest wohl das Abschmücken vergessen.
Überhaupt müsste man hier mal richtig aufräumen, dachte Oz und ließ den Blick durch den Laden schweifen. Bei den ausgestellten Geschenkartikeln hatte ein Tornado Dekorateur gespielt. Es sah aus wie im Zimmer seines kleinen Bruders.
Wer hatte Lust, in so einem Chaos etwas zu kaufen?
Seine Aufmerksamkeit richtete sich wieder aufs Schaufenster.
Den meisten Platz nahm darin ein uraltes Apothekerschränkchen ein, in dessen Fächern und lädierten Schubladen nicht nur Tiegel, Fläschchen und Kräuterbündel lagen, sondern zerfledderte Bücher, Tintenfässchen mit Federkielen und eine halbgefüllte Teetasse.
Sah es nicht sogar so aus, als wenn sie dampfte?
Vor dem Schränkchen stand ein hölzerner Lehnstuhl mit gemütlich aussehendem, nicht mehr ganz weißem Schaffell. Darin saß eine schon in die Jahre gekommene Schaufensterpuppe mit wächsernem Gesicht. Jemand hatte ihr einen mittelalterlichen Federhut über die Ohren und einen struppigen Bart um die ausgezehrten Wangen gehangen.
Lilith stupste Oz an. Die Elster zerrte immer noch verbissen an dem Schneckenhaus im Lüftungsschlitz. Mit einem Mal verharrteder Vogel, legte den Kopf schief und lauschte der Stimme, die aus dem Schlitz drang. Sie klang rau und unheimlich und nicht nur Lilith, die sonst immer einen frechen Spruch auf Lager hatte, stellten sich die Nackenhärchen auf:

 

„Ist das ein Dolch, was ich da vor mir seh,
Den Griff zu meiner Hand? Komm, lass dich packen: –
Und dir an Griff und Klinge Blut, das tropft,
Das tropft, das tropft. Mord schleicht verstohlnen Schritts
Auf Zehenspitzen an sein grausig Werk
Wie ein Gespenst. – Da! Dong! Horch! Dong! Die Glocke!
Hörst du sie nicht? – Sie klingt wie Totenklang
Ruft dich zum Himmels- oder Höllengang!“

 

Die Elster zerrte endlich das heiß ersehnte Schneckenhaus aus dem Schlitz. Die Lüftungsklappe schloss sich mit metallischem Scheppern, die Stimme erstarb.
Oz und Lilith richteten die bleichen Gesichter auf die Schaufensterpuppe, die plötzlich zu geisterhaftem Leben erwachte, mit der Faust gegen das Glas pochte und einen blutverschmierten Dolch ins weichende Abendlicht reckte.
Panisch ergriff Lilith Ozʼ Hand und riss ihn mit sich fort. Oz folgte ihrem Willen allzu gerne.
Sie flüchteten ins schützende Grau der Nachbargasse.
Keiner von beiden sah sich mehr um.
Keiner sah das flüchtige Grinsen im wachsbleichen Gesicht der
Puppe, bevor sie sich erschöpft in den Lehnstuhl fallen ließ.

Markus Beyer

Über den Autor

Markus J. Beyer wurde 1967 in Plettenberg im Märkischen Sauerland geboren und hat in Bochum und Passau Katholische Theologie sowie in Dortmund Deutsch und Geschichte auf Lehramt studiert. Seit dem Jahr 1995 ist Beyer als Lehrer tätig und hat das literarische Schreiben für sich entdeckt. Seine Bücher nehmen die Leser auf phantasievolle Reisen mit, entführen an geheimnisvolle Orte, Schauplätze rätselhafter Ereignisse in lang vergangenen Zeiten. Nicht selten aber existieren die Orte und Gegenden seiner Romane ohne jeden Bezug zur Realität allein im Reich der Phantasie.

Zwischen dem „Geheimnis der Weltenuhr“ von 2007 und „Dunkle Dichter“, seiner ersten Publikation im WOLL-Verlag, hat Beyer weitere Jugendbücher veröffentlicht, die im Buchhandel erhältlich sind.